Sehr persönliche Eindrücke vom Kriegsende aus Friesoythe

Die Zerstörung Friesoythes am Ende des Zweiten Weltkriegs ist schon mehrfach thematisiert worden. Peter Stelter, Leiter des Albertus-Magnus-Gymnasiums Friesoythe, hat dieses Thema nun durch einen personalisierten Zugang bereichert. Denn sein im Dezember erschienenes Buch "Friesoythe 1945 - Schicksale und Silhouette einer zerstörten Stadt" schildert u.a. anhand einiger Einzelschicksale die Ereignisse im April 1945. Vorab hat Stelter OMonline ein Interview gegeben, das hier zu lesen ist.

Moin, Herr Stelter, warum dieses Buch zu den Ereignissen in Friesoythe im April 1945?

Der Titel verrät es bereits: „Als die Dunkelheit hereinbrach, erinnerte Friesoythe an Dantes Inferno.“ So verzeichnet es das Kriegstagebuch der 4th Canadian Armoured Division. Tatsächlich glich Friesoythe am Abend des 16. April 1945 der Hölle. Wie es zu der Zerstörung kam, welche Rolle dabei die Geschehnisse spielten, die sich kurz zuvor in Sögel ereigneten, verrät dieses Buch ebenso wie die genauen Umstände bei der Einnahme Friesoythes. Wir wissen inzwischen sehr genau, was in dem kleinen unauffälligen Bauernhaus, das den kanadischen Soldaten übergangsweise als Hauptquartier diente, geschah, in dem u.a. Lieutenant-Colonel Frederick Wigle den Tod fand. Wigles Ableben löste eine kanadische Straf- und Racheaktion aus. Was die Befehlshaber und die einfachen Privates beim Niederbrennen der Stadt empfanden, kann man durch Zeitzeugenberichte sehr genau sagen.

„Schicksale und Silhouette einer zerstörten Stadt heißt es im Untertitel Ihres Buches. Was ist damit gemeint?

Auf der Rückseite des Covers steht es: "Eine Stadt in den letzten Kriegstagen, ein verhängnisvoller Befehl, eine schwierige Suche nach den Gründen für die Zerstörung, verbunden mit einer komplexen Schuldfrage. Und vor allem sehr bewegende Schicksale, tragisch auf Friesoyther und auf kanadischer Seite: ein engagierter Arzt, ein alter Spökenkieker, ein totes Kind in der Hofzufahrt, ein 13-jähriges Mädchen, das noch einmal davonkam, ein aufstrebender Offizier, von einer Maschinepistole zersiebt, ein Angehöriger der First Nations auf Abenteuersuche, ein niederländisches meisje en haar eerste grote liefde und noch viele packende Geschichten. So war es in Friesoythe im April 1945."

Peter Stelter stellte am 11. Dezember sein Buch
in der Alten Wassermühle Friesoythe vor.
Foto: Stelter

Mit den „Schicksalen sind also die Friesoyther und die Kanadier gemeint?

Ja, genau. Ohne den Friesoyther Arzt Dr. Niermann, den ollen Vierfuß und berührende Kinderschicksale, die als „Kollateralschäden“ in diesem Krieg starben, wäre dieses Buch unvollständig.

Aber auch die Biographien der kanadischen Gefallenen, die dieses Buch zum ersten Mal ausführlich darstellt, offenbaren Schicksale: Sie waren bekannte Eishockeyspieler, begeisterte Harley-Fahrer, Abenteurer oder Mitglieder der Ureinwohner Kanadas. Sie alle hatten sich nicht vorstellen können, in einem Bauernhaus oder an der Soestebrücke in Friesoythe im Kugelhagel oder durch eine Handgranate zu sterben. In einen der in Friesoythe Getöteten verliebte sich ein niederländisches Mädchen. Nach Jahrzehnten brachte die Enkelin der inzwischen alten Frau eine Kiste mit den Fotos „ihres“ Kanadiers nach Holten ins Dokumentationszentrum beim kanadischen Soldatenfriedhof. Das sind berührende Geschichten.

Neben den Schicksalen ist die Silhouette Friesoythes ein zweiter Schwerpunkt dieses Buches. Was meint das genau?

Das kanadische Nationalarchiv in Ottawa verfügt über etwa siebzig professionell aufgenommene Fotographien, die in jenen Tagen in Friesoythe oder der unmittelbaren Nähe entstanden. Ihnen werden alten Postkartenansichten an die Seite gestellt. Friesoythe war schon ein schnuckeliges Städtchen. Auch der Vergleich zu heute ist spannend: Wie ein Straßenzug damals aussah und wie es dort heute aussieht, machen viele Fotos sehr anschaulich. Ich wollte ein modernes und schönes Buch, das beim Anschauen Freude macht. Es sollte nicht so aussehen, als würde Opa zum x-ten Mal in seinem Wehrmachts-Fotoalbum blättern.

War die Zerstörung Friesoythes ein Kriegsverbrechen?

Die kurze Antwort lautet: Eindeutig ja. Das sehen inzwischen auch alle ernstzunehmenden kanadischen Historiker so. Die längere Antwort: Es muss gelingen, eine solche Bewertung vorzunehmen, ohne einem Cult of Victimization Vorschub zu leisten, ohne die dringend notwendige Abgrenzung zur NS-Barbarei zu verwischen und ohne denjenigen Leuten das Wort zu reden, die sich am rechten Narrensaum unserer Gesellschaft aufhalten. Ich hoffe, das ist mir im Buch gelungen.

Haben Sie auch ein persönliches Motiv für dies Buch?

Vielleicht steigt das Interesse an Geschichte mit dem Alter. Und vielleicht hätte ich manchmal noch genauer zuhören und nachfragen sollen, als meine Eltern vom Krieg sprachen. Meine Mutter erlebte beispielsweise den 15. April 1945 auf dem Bauernhof ihrer Großmutter im Blautannenweg in Mehrenkamp. Als die kanadischen Soldaten das Haus stürmten, sahen sie auf dem Kamin noch ein Foto Hitlers. Nur die gütige Geste meiner Urgroßmutter, die ihre Enkel um sich versammelte und schützend in den Arm nahm, besänftigten die Hineinstürmenden. Dies ist eine von vielen kleinen Erzählungen der Zeitzeugen, die so langsam in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht jemand aufschreibt

Das Friesoythe-Buch ist für 29,80 Euro erhätlich in der Buchhandlung Schepers in Friesoythe oder online über unseren Buchladen.