Die Heimatbibliothek für das Oldenburger Münsterland macht an dieser Stelle auf Bestände aufmerksam, die die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs für unsere Region dokumentieren und gemahnt somit wie auch andere zahlreiche Museen, Bibliotheken, Archive, Verlage und andere Institutionen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren und an dessen Folgen.
Im Bestand der Heimatbibliothek befindet sich eine – bereits mehrfach erwähnte – Sammlung von ‚Feldpostbriefen und Gedichten von Frontsoldaten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges‘, gesammelt von der Oldenburgischen Volkszeitung. Die Oldenburgische Volkszeitung hat zumindest in den ersten Kriegsjahren zahlreiche dieser an die Redaktion geschickten Briefe veröffentlicht. Das Loseblattkonvolut wurde irgendwann an die Heimatbibliothek übergeben, aber noch nie systematisch ausgewertet. Darin entdeckt wurde nun ein Feldpostbrief des bekannten Schriftstellers Fritz Strahlmann, der vor nun gut 100 Jahren entstanden ist.
Strahlmann (* 1887, † 1955) war einer der produktivsten Herausgeber und Schriftsteller des Oldenburger Landes dieser Zeit. Gebürtig in Wildeshausen, hat er seine Gymnasialzeit unter anderem in Vechta verbracht. Seit 1911 hatte er sich mit wechselnden Studienorten (u.a. Heidelberg, Münster, Berlin) den geisteswissenschaftlichen Fächern und der Journalistik gewidmet und war schriftstellerisch tätig. Dabei blieb er mit seinen Themen stets eng der Heimat verhaftet. Herausgerissen aus seinen Studien wurde er durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den er seit 1915 direkt an der Front miterlebte, unter anderem vor Verdun. Hier irgendwo an der Westfront entstand jener Feldpostbrief, der in der oben erwähnten Sammlung überliefert ist. Verfasst hat Strahlmann den Brief "[i]m Westen, den 28.IV.1916". Er schreibt:
"Sehr geehrte Redaktion! Als ehemaliger Vechtaer Gymnasiast, der also die Gegend kennt und dort in Vechta kein Unbekannter ist, sende ich Ihnen ein Gedicht vom "Eisernen Birnbaum", das hier draußen im Felde entstanden ist. Die Sage ist natürlich meine eigene Erfindung und dürfte, da es noch keine Sage vom "Eisernen Birnbaum["] gibt, vielen willkommen sein. Ich wende mich aber an Sie mit der Bitte, das Gedicht in der "Oldbg. Volkszeitung", die ja auch in Wildeshausen viel gelesen wird, zu veröffentlichen. Ich stelle Ihnen das Gedicht gratis und gegen Einsendung von 6 Belegnummern zur Verfügung, deren Einsendung ich gern entgegensehe.Hochachtungsvoll und ergebenst,Fritz StrahlmannCand. Phil.als Kanonier z. Zt. im Felde.19. Res. Div. Res. Feld=Art. Rg. 19III. Abtlg.L.F. (Mun.?) Kolonne = Westen".
Der Brief und das folgende Gedicht vom ‚Eisernen Birnbaum‘ konnten in den Ausgaben des Jahres 1916 der Oldenburgischen Volkszeitung bislang nicht nachgewiesen werden. Ob der Brief von der Redaktion in irgendeiner Form beantwortet wurde, ist nicht bekannt. Der Brief ist aber ein Beleg für Strahlmanns schriftstellerische Tätigkeit im Felde, die sich dann in seinen beiden Gedichtsammlungen „Großes Erleben“ und „Im Heidekranz“ niederschlug. Das mit dem Feldpostbrief übersandte Gedicht erschien in nochmals bearbeiteter Form in "Im Heidekranz" (S. 19 f.). Auch wenn der Titel der letzteren Gedichtsammlung nicht an Krieg denken läßt, so wurde sie in der Verlagsankündigung ausdrücklich den im Felde stehenden Soldaten empfohlen: „Wer sehnte sich im Schützengraben, in der Feuerstellung nicht zurück zur Heimat – und, wenn er aus Niedersachsen ist, - nicht zurück zur einsamweiten, blühenden Heide mit ihrem großen Schweigen, mit ihrem wolkenlosen Himmel und mit ihrem Sonnenglanz? […] Für alle die – mit der großen Sehnsucht nach Heimat und Heide sind die Gedichte der Sammlung „Im Heidekranz“ geschrieben, - teils aus solcher Sehnsucht heraus im Kriege, teils schon vor dem Kriege aus Erleben und Empfinden.“
Beide Gedichtsammlungen waren laut Verlagsankündigung nicht allein, aber vor allem für die Frontsoldaten gedacht, die zusammen ganz im Sinne des kriegführenden Staates und ähnlich wie die Feldpost eine Verbindung zwischen Kriegs- und Heimatfront herstellen und damit zur Aufrechterhaltung von Kampf- und Opferbereitschaft an Kriegs- wie Heimatfront beitragen sollten. Das erfüllte die Sammlung "Großes Erleben", indem sie 'künstlerisch gestaltete Erlebnisse' von der Front in die Heimat transportierte. Der Inhalt der Gedichte dieser Sammlung ist weitgehend ernst. Die Sammlung "Im Heidekranz" transportiert umgekehrt unterhaltsame Texte aus der Heimat zum Soldaten an die Front. Sie hält mit ihren schönen, stimmungsvollen Texten, ergänzt durch Fotografien des Historischen Festzuges in Wildeshausen aus dem Jahr 1903, die Erinnerung an die Heimat wach, für die der Soldat kämpft, und schürt seine Sehnsucht nach der Heimat, wodurch wiederum sein Durchhaltevermögen gestärkt werden sollte.
Die früheste datierte Feldpostkarte aus einer Sammlung verschiedener Verfasser, alle adressiert an den Viehhändler Gerhard Rump in Lastrup, wurde am 25. August 1914 von Borkum aus gesendet – der Absender, offenbar ein Verwandter gleichen Nachnamens, meldet darauf lediglich seinen Standort: „Gefreiter d. Landwehr Rump 5 Comp. Res. Inft. Regt. N 79. 2 Batl. Borkum.“
„Friedensübung Borkum“ wurde die Maßnahme genannt und erging als ein der offiziellen Mobilmachung vorausgehender Befehl zunächst an das Oldenburgische Infanterie-Regiment Nr. 91. Heinrich Harms, Verfasser der Regimentsgeschichte, berichtet hierin, dass das I. Bataillon bereits am 30. Juli 1914 um 5 Uhr morgens mit der Bahn Oldenburg Richtung Emden verlassen habe und dass das II. Bataillon rasch gefolgt sei: „Zugleich mit uns [den Soldaten] waren dort [in Emden] verschiedene Dampfer mit Badegästen eingetroffen, die ihren Heimatsorten zustrebten. Die für sie bereitgestellten Züge wurden buchstäblich gestürmt“ – so der Bericht Heinrich Harms‘ weiter. „Die Badegäste waren [bald] gezwungen, nun restlos die Insel zu räumen“, da die Badeinsel Borkum zum potentiellen Kriegsschauplatz umfunktioniert wurde. Hier galt die erste Kriegsmaßnahme, die ebenfalls noch vor Ausrufung der offiziellen Mobilmachung erfolgte, der Sicherung der Insel. Doch mehr als Kriegsgerüchte ereilte die Soldaten an diesem Ort nicht, bedauert Harms: „Sonst merkte man auf der Insel nichts von jener überwältigenden Begeisterung, die auf dem Festlande alt und jung ergriffen hatte. Ein Stück geschichtlichen Erlebens ging den auf Borkum befindlichen aktiven 91ern damit verloren!“ Dies änderte sich im gesamten Kriegsverlauf für die auf den Inseln stationierten Soldaten kaum. Wider Erwarten erlangte der Seekrieg nicht die ihm zuvor zugemessene Bedeutung – die Entscheidungsschlachten fanden zu Land statt. Lediglich der U-Boot-Krieg gewann ungeahnte Ausmaße, jedoch nicht vor den Nordseeinseln. Doch die Oldenburger schützten auf den Inseln ihr Hinterland und das der anderen Nordseeanliegerterritorien.
Der Ablösungsbefehl wurde darum von den 91ern unter „besonderem Jubel“ aufgenommen, berichtet wiederum Heinrich Harms. Am 9.8. traf ein Bataillon jenes Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 79 auf Borkum ein, dem auch der oben benannte Kartenschreiber angehörte. Es übernahm dort die Nordsee-Wacht am Abschnitt Ostland. Eine weitere Karte von Borkum erhielt der Viehhändler Rump mit ‚Weihnachtsgrüßen 1914‘, die ein Freund des Nachnamens Imbusch am 22.12.1914 an ihn versandt hatte. Dieser gehörte laut Stempel zur 5. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 79.
'Schlachten des Weltkrieges'
Bereits "während eines Krieges zu seiner Darstellung überzugehen, ist ein Beginnen, das (bislang) wohl einzig in der Kriegsgeschichte dasteht, jedenfalls hat es unter dem Gesichtspunkt, daß diese Kriegsgeschichtsschreibung zugleich eine offizielle, amtliche sein sollte, […] kein Vorbild."
Mit diesen Worten verweist der Oldenburger Stalling-Verlag in seiner Festschrift zum 150-jährigen Bestehen im Jahre 1939 (S. 139) im Rückblick stolz auf sein mit der Reihe "Der Große Krieg in Einzeldarstellungen" begonnenes Vorhaben. Heft 1 – „Lüttich-Namur“, verfasst von Rolf Marschall von Bieberstein – konnte noch 1918 erscheinen. Die Reihe musste jedoch mit dem Friedensschluss von Versailles eingestellt werden.
Mit dem 1919 gegründeten Reichsarchiv in Potsdam als Nachfolgeorganisation der durch den Versailler Vertrag abgelösten Kriegsgeschichtlichen Abteilung des Generalstabs wurde der Plan für zwei neue Buchreihen entworfen, die "Erinnerungsblätter deutscher Regimenter" (s.u.) und die "Schlachten des Weltkrieges". Das Reichsarchiv erhob als Herausgeber der „Schlachten des Weltkrieges“ den Anspruch, ‚DIE‘ offizielle Darstellung des Krieges in populärer wie auch quellentreuer Form zu liefern. Es legte Wert auf eine ‚historisch getreue Wiedergabe der inneren Zusammenhänge‘ (so z.B. das Vorwort zu Bd. 1 der 2. Auflage „Douaumont“). Dementsprechend besaßen die Bände einen dokumentarischen Charakter, der sich durch die Beigabe von Fotos und Karten und die genaue Nennung von Offizieren und militärischen Einheiten äußert. Als Leiter der Schriftenfolge fungierte der Archivrat des Reichsarchivs Major a.D. George Soldan. Dieser wiederum gewann neben anderen Werner Beumelburg als Autor für die Reihe.
Werner Beumelburg - der bekannteste Schriftsteller der Reihe
Werner Beumelburg (1899-1963) wird als erfolgreichster deutscher Kriegsschriftsteller der 1920er und 1930er Jahre bewertet. Er gilt als Vertreter der ‚soldatischen Rechten‘ und Antipode Erich Maria Remarques, dem jedoch – auch im Gegensatz zu Remarque – heute kaum noch Beachtung gezollt wird. Den Zeitgenossen hingegen galt er auf Grund seiner länger währenden Fronterfahrung als glaubwürdiger: Beumelburg beendete seine schulische Ausbildung 1916 mit dem Notabitur, machte eine kurze Ausbildung zum Fahnenjunker und kam als 17-jähriger zum Einsatz an die Westfront, wo er die Schlacht von Verdun miterlebte. In den Offiziersrang erhoben, verblieb er bis Kriegsende an der Westfront. Nach dem Krieg studierte er Staatswissenschaften, war bald jedoch nur noch als Journalist und freiberuflicher Schriftsteller tätig.
In den Jahren von 1923 bis 1928 erschienen von Beumelburg vier Bände in der Reihe „Schlachten des Weltkrieges“: „Doaumont“ (1923), „Ypern 1914“ (1925), „Loretto“ (1927) und „Flandern 1917“ (1928). Seine Darstellungen schwanken im Stil zwischen vom Herausgeber gewollter historischer Dokumentation und romaneskem ‚Schlachtengemälde‘. Der literarische Charakter ist bei ihm stark ausgeprägt, und er erschreckt den Leser häufig mit realistischen Details, in denen er sich gern selbst überbietet. Ähnlich wie Ernst Jünger betreibt er eine Art ‚Geschichtsphilosophie‘, die im Kriegsgeschehen einen tieferen Sinn sucht und findet, wodurch er insbesondere ein Bedürfnis nach Identifikation derjenigen bediente, die am jeweils behandelten Frontabschnitt zum Einsatz gekommen waren.
‚Sperrfeuer um Deutschland‘
Sein erfolgreichstes Buch war „Sperrfeuer um Deutschland“ (1. Aufl. 1929), das dem Stalling-Verlag als "eine ungemein wirkungsvolle Umrahmung der Einzelbände der Schlachtenfolge“ galt. Beumelburg handelt darin das Kriegsgeschehen auf den wichtigsten Kriegsschauplätzen ab und schildert hierin – so jedenfalls sein Anspruch – noch deutlicher die Lebenswirklichkeit des Frontsoldaten mit seinen Erfahrungen von Kampf, Leid und Tod. Er richtet seinen Blick aber auch auf die historischen Rahmenbedingungen – wenn auch aus zeitgenössisch deutscher Perspektive – die in den „Schlachten des Weltkrieges“ ausgespart bleiben. Dabei scheint er unparteiisch, so dass sein Buch Zuspruch in allen politischen Lagern finden konnte – wohl ein Grund für seinen Erfolg. Das Buch gilt in Frankreich bis heute als die repräsentativste deutsche Darstellung des ‚Großen Krieges‘.
Beumelburgs Bücher fanden auch in der NS-Zeit massenhafte Verbreitung. Obwohl er kein Parteimitglied war und seine Schriften insofern unparteiisch sind, als sie keine Schuldzuweisungen bezüglich der Situation Deutschlands nach dem Versailler Friedensschluss und auch kaum rassistische Äußerungen enthalten, stand er der NSDAP nahe und gilt auf Grund seiner in massenhaften Auflagen erschienener Bücher als repräsentativer Autor des NS-Staates.
Eine Zusammenstellung sämtlicher Titel aus der Reihe "Schlachten des Weltkrieges" im Bestand der Heimatbibliothek finden Sie HIER.
Ein großer Teil der männlichen Bewohner des Oldenburger Münsterlandes leistete seinen Militärdienst in Oldenburg ab. Das ‚Großherzogliche Oldenburgische Infanterie-Regiment‘ wurde 1813 im Zuge der gegen Napoleon gerichteten Befreiungskriege gegründet. Bei seiner Eingliederung in die preußische Armee zum 1. Oktober 1867 erhielt es als ‚Oldenburgisches Infanterie-Regiment‘ die ‚Nr. 91‘. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren die Ämter Vechta, Cloppenburg und Friesoythe nach der ‚Landwehr-Bezirkseinteilung für das Deutsche Reich‘ dem Landwehrbezirk Oldenburg II zugewiesen, der wiederum zum X. Armeekorps gehörte. Gemäß der Bedeutung der Infanterie als Basis der Landstreitkräfte war das O.I.R. 91 das wichtigste Regiment im Großherzogtum Oldenburg.
Sein 100-jähriges Jubiläum hatte es im Jahr 1913 in einer dreitägigen Feier vom 15. bis 17. August zum ‚Tag von Tronville‘ begangen. Auch die ‚Oldenburgische Volkszeitung‘ hat die in Oldenburg stattfindende Hundertjahrfeier durch einen ausführlichen Bericht gewürdigt (Jg. 80, Nr. 97 vom 19.08.1913). Das Jubiläum bot möglichen zukünftigen ‚Kriegsfreiwilligen‘ ausgeprägtes Identifikationspotenzial mit den siegreichen Kämpfern der Befreiungskriege sowie denen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, der mit der Proklamation des Deutschen Kaiserreichs endete. Eine wichtige Identifikationsfigur aus späterer Zeit mit besonderer Bedeutung für das O.I.R. 91 war Paul von Hindenburg, da er dieses von 1893 bis 1896 kommandiert hatte.
Von der Bedeutung des Regiments für Südoldenburg zeugt die ‚Festschrift zur Fahnenweihe des Vereins ehemaliger 91er für Vechta und Umgegend am 12. und 13. September (1925) in Vechta‘, der ein Jahr nach seiner Gründung bereits über 100 Mitglieder zählte – das galt dem Verfasser der Schrift als „freilich eine noch sehr geringe Zahl von den in Vechta und Umgebung ansässigen 91ern“.
Die Schriften zur Geschichte des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 im Weltkrieg des Oldenburger Stalling-Verlags:
Der Oldenburger Stalling-Verlag hat in der Zeit von 1896 bis 1934, befördert durch die Bekanntschaft Heinrich Stallings mit dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, einen militärischen Schwerpunkt ausgebildet. Die 'Erinnerungsblätter deutscher Regimenter' ist eine von mehreren großangelegten militärischen Publikationsreihen des Stalling-Verlags. Die "Geschichte des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91" erschien als Band 331 der Reihe (eine Liste aller Bände der Reihe ist in der Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Stalling-Verlages abgedruckt: S. 75-89). Verfasst wurde sie von dem Hauptlehrer Heinrich Harms, Leutnant der Reserve a.D., nachdem der eigentlich als Verfasser auserkorene Regiments-Adjutant Oberleutnant Pflugradt 1925 - kurz nach Beginn der Arbeit - verstarb. Erscheinen konnte die Regimentsgeschichte dann im Jahr 1930.
Die Geschichte des O.J.R. 91 ist in zwei Hauptabschnitte gegliedert. Der erste liefert auf fünf knappen Seiten eine chronologische Übersichtstafel über die 100 Jahre währende Geschichte des Regiments. Der zweite Hauptabschnitt widmet sich ausführlich auf über 400 Seiten den militärischen Aktionen, an denen die "91er" sowohl im Westen wie im Osten im Verlauf des gesamten Krieges 1914-1918 bis zu ihrer Rückkehr in die Heimat beteiligt waren. Im Anhang ist an letzter Stelle eine 'Ehrenliste sämtlicher Gefallener' des Regiments im Weltkrieg beigefügt. Weitere Informationen über die Erlebnisse dieses und weiterer Oldenburgischer Regimenter im Weltkrieg und deren personelle Zusammensetzungen erhält man in weiteren Bänden des Stalling-Verlags.
Die ‚Pflege vaterländischen Sinnes‘ nach den Preußischen Lehrplänen von 1901:
Die ‚Erziehung zur Vaterlandsliebe‘ war wichtiger Bestandteil des Unterrichts an den höheren Schulen während des Deutschen Kaiserreichs. Das schlägt sich auch in den ‚Lehrplänen und Lehraufgaben für die höheren Schulen in Preußen 1901‘ nieder, an denen sich auch das Realprogymnasium in Cloppenburg ausrichtete, wie es in dessen ‚Bericht über das Schuljahr 1914/1915‘ nachzulesen ist. Beanstandet wurde darin eine “zu wenig eingehende Behandlung der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts mit ihren erhebenden Erinnerungen und großen Errungenschaften für das Vaterland“. Vor allem den Fächern Geschichte und Deutsch wurde die „Pflege vaterländischen Sinnes“ als „besondere Aufgabe“ gestellt. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wurden für den Deutschunterricht bestimmte Schullektüren empfohlen, allgemein formuliert „die bedeutendsten Geisteswerke unserer Literatur“. Dazu zählte man für die Untersekunda neben geschichtlichen Dramen die ‚Dichtung der Befreiungskriege‘, für die Obertertia neben anderen Texten die Lektüre von „Körners Zriny“ – ein Drama, das heute kaum noch Beachtung findet.
Körners ‚Zriny‘ als Vorbild wahren Heldentums im Kriege:
Die ‚neuen Helden‘ des Ersten Weltkrieges waren meist solche, die ihre Kriegserfolge durch ihre Fähigkeiten im Umgang mit den neuen technischen Kriegswaffen errangen wie Otto Weddigen oder Manfred von Richthofen und insofern modern. Davon einmal abgesehen, scheinen sie mit ihren übrigen ‚Heldenqualitäten‘ den Kämpfern von 1813 nahezustehen. Zu deren ‚Sprachrohr‘ wurde unter anderem Theodor Körner (1792-1813) mit seiner Lyriksammlung ‚Leyer und Schwert‘. Körners Biographie war in idealer Weise dazu angetan, eine Identifikation potenziell kriegsfreiwilliger Schüler und Studenten mit der Rolle des Opferhelden zu fördern. Nach einer gelungenen Uraufführung seines historischen Dramas „Zriny“ im Dezember 1812 in Wien wurde er dort zum K. K. Hoftheaterdichter ernannt. In diesem Drama schildert er bereits ausdrücklich, welche Opfer wahre Vaterlandsliebe fordere. Im kommenden Jahr 1813 folgte er selbst dem Ruf zu den Waffen, um die Vorherrschaft Napoleon Bonapartes in Europa zu brechen, und schloss sich dem preußischen Lützowschen Freikorps an, dem auch Friedrich Ludwig Jahn und Joseph von Eichendorff angehörten. Während dieser Zeit arbeitete er weiter an den Gedichten, die dann von seinem Vater posthum unter dem Titel ‚Leyer und Schwert‘ veröffentlicht wurden, denn Körner, der am 24. August 1813 sein letztes Lied, das „Schwertlied“, verfasste, fiel zwei Tage später in der Nähe des Dorfes Wöbbelin, wo er beerdigt wurde. Gerade in den patriotischen Gedichten dieser Sammlung, die er während der Kampfhandlungen verfasst hatte, meinte man, das ‚Pulsieren wirklichen Lebens‘ spüren zu können. Körner verwirklichte mit seinem Tod, was er in seinen Gedichten und auch im „Zriny“ bereits propagiert hatte: Für seine Ideale, und das war bei ihm allem voran die Liebe zum Vaterland, auch mit dem Tod einzutreten. Damit hatte er seinem Werk, das ein jugendliches bleiben musste, die Aura besonderer Authentizität verliehen.
1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, feierte man in Deutschland das Andenken an den Erfolg der Befreiungskriege und gleichzeitig den hundertsten Todestag Theodor Körners. Als der Krieg 1914 ausbrach, war man sich der Aktualität seines Werkes nur zu sehr bewusst. In Theateraufführungen und bei Dichterabenden des Gymnasium Antonianum wurde sein Werk rezipiert. Um nach Ausbruch des Krieges Geld zur Versendung von ‚Liebesgaben‘ an die im Feld stehenden Schüler zu verdienen, wurde Samstag und Sonntag, den 21. und 22. November vom Schülerverein ‚Rhetorika‘ Körners „Zriny“ im ‚Schäferschen Saale‘ aufgeführt. Das Stück wurde vermutlich bewusst gewählt – ein Bezug zum aktuellen Kriegsgeschehen wurde vom Redakteur der ‚Oldenburgischen Volkszeitung‘, der die Aufführung unter dem 20. November 1914 ankündigte, jedenfalls herausgestellt, machte er aus dem deutschen Stützpunkt Tsingtau an der chinesischen Nordostküste, der kurz zuvor Anfang November 1914 gefallen war, doch ‚ein zweites Sigeth‘.
Die Vorankündigung zur Aufführung der Rhetorika aus der 'Oldenburgischen Volkszeitung' finden Sie HIER.
Fünf Illustrationen zu Körners ‚Zriny‘ vom Berliner Künstler Edmund Brüning aus der Werkausgabe Theodor Körners von Karl Macke (45. Aufl.: 1909):
Angeblich meldeten sich in Deutschland bald nach Kriegsausbruch an die zwei Millionen Freiwillige zum Militär. Als Folge der Augustbegeisterung und der sogenannten ‚Ideen von 1914‘ war die Zahl von Studenten und Gymnasiasten unter den ‚Freiwilligen‘ überproportional hoch. Von solchen Meldungen waren auch die höheren Schulen des Oldenburger Münsterlandes, das Gymnasium Antonianum in Vechta und das im April 1914 als solches neugegründete Realprogymnasium in Cloppenburg, betroffen. Von den Auswirkungen des Kriegsausbruches auf das schulische Leben berichten die Schulprogramme.
Das neu eröffnete Realprogymnasium Cloppenburg war im ersten Kriegsjahr nur insofern betroffen, als der Oberlehrer Dr. Thome als Leutnant der Reserve im 132. Infanterie-Regiment sich gleich zum 1. Mobilmachungstag freiwillig meldete. Die Schüler konnten sich in Übungen der Jugendwehr auf einen etwaigen Kriegsdienst vorbereiten. Die geringen Auswirkungen auf den Schulbetrieb bei Kriegsausbruch erklären sich daraus, dass das Realprogymnasium Cloppenburg gerade erst ins Leben gerufen worden war - die Schüler befanden sich noch nicht im wehrfähigen Alter, da es noch keine Obertertia, Sekunda und Prima, entsprechend den heutigen Jahrgängen 9 bis 13, gab.
Am Großherzoglich Oldenburgischen Gymnasium Antonianum sah die Situation kurz nach Kriegsausbruch ganz anders aus: Gemäß Verfügung des Großherzoglichen Ministeriums der Kirchen und Schulen an die Oberschulkollegien konnten sich die Schüler in der Woche vom 3.-8. August einer Notreifeprüfung unterziehen. Die Bereitwilligkeit der Schüler, sich freiwillig zum Heer zu melden, war nach Aussage des Schulprogrammes groß und wurde seitens der Schulleitung befördert. Auch wenn viele Schüler wegen des großen Andranges zunächst zurückgewiesen wurden, war das Ergebnis doch, dass „die Oberprima als Klasse aus dem Unterrichtsplane [verschwand].“ Insgesamt meldeten sich im ersten Kriegsschuljahr 42 Schüler der Klassen Obertertia bis Oberprima sowie drei Lehrer. Der Unterricht konnte aber trotz des Fehlens einiger Lehrkräfte problemlos fortgeführt werden, da ja die Oberprima fortgefallen war.
Als vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg ausbrach, ahnte kaum jemand, dass er sich zur "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" auswachsen würde. Doch in der Literatur, die dieser Krieg hervorbrachte und die auch in der Heimatbibliothek bewahrt wird, werden die Folgen dieses ersten industrialisierten Krieges dokumentiert - besonders augenfällig in den Gedenkbüchern verschiedener Gemeinden oder Vereine, die bald nach Kriegsende zum Andenken an die Gefallenen erschienen - so zum Beispiel das Gedenkbuch "Unsern teuren Toten!" des Katholischen Lehrervereins für den Freistaat Oldenburg (KLV), erschienen 1923. Es portraitiert auf 368 Seiten die Gefallenen des KLV, alle unter Beigabe einer Photographie, und entreißt sie so dem Vergessen vor dem Hintergrund des Massensterbens des Ersten Weltkrieges.
Der Ausbruch des Krieges hatte auf das schulische Leben teils beträchtliche Auswirkungen. Der Oldenburger KLV stellte "zeitweise die Hälfte seiner Mitglieder zur Verteidigung des Vaterlandes". Der Blutzoll dafür betrug: "43 Lehrer und 20 Seminaristen". Sie alle hatten ihre Ausbildung am Lehrerseminar Vechta absolviert oder besuchten es noch, als der Krieg ausbrach. Unter den portraitierten Gefallenen finden sich auch einige Seminaristen des ersten Notabiturjahrgangs des Lehrerseminars. Bei Ausbruch des Krieges hatte das Großherzogliche Ministerium der Kirchen und Schulen in Oldenburg für die Gymnasien und Oberrealschulen und damit auch für das Lehrerseminar für die Woche vom 3. bis 8. August Notreifeprüfungen angeordnet. Bei dieser ersten angeordneten Notreifeprüfung wurde am Lehrerseminar die gesamte 1. Klasse geprüft, aus der einige die reguläre Abschlussprüfung im Frühjahr 1915 jedoch noch nachholen konnten, ehe sie tatsächlich eingezogen wurden.
Gefallen und damit in das Gedenkbuch mit aufgenommen sind aus diesem Jahrgang Josef Bußmann aus Hausstette bei Vestrup (geb. 02.08.1894, gest. 26.04.1917 in der Nähe von Reims), Clemens Evers aus Krimpenfort in der Gemeinde Lohne (geb. 17.08.1894, gest. 10.09.1918 kurz hinter Hayncourt), Gottfried Janßen, ebenfalls aus Krimpenfort (geb. 15.02.1895, gest. 25.10.1917 im Lazarett nach einer Verwundung bei Polischki), Albert Kettler aus Oldenburg (geb. 03.12.1893, gest. 01.06.1915 in der Gegend von Suwalki) und Joseph Hackmann aus Bokel bei Cappeln (geb. 04.10.1894, gest. 08.09.1917 bei Verdun). Von letzterem befindet sich in der Heimatbibliothek ein Feldpostbrief, verfasst am 23. Mai 1916 an seinen in Vechta lebenden Onkel, den Lehrer a.D. Heinrich Hackmann, in dessen Nachlass der Brief archiviert ist. Er trägt den Stempel der 5. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments 259.
Bei der Durchsicht der Portraits im Gedenkbuch des KLV fällt auf, dass insgesamt 27 der 63 Gefallenen ihre Ausbildung am Lehrerseminar wie die hier genannten erst 1909 oder später begonnen und damit nicht mehr innerhalb der seit 1906 geforderten sechs Jahre hatte abschließen können. Das bedeutet gleichfalls, dass diese Seminaristen ohne richtige Militärausbildung an die Front geschickt wurden.
Doch die Erziehung zur Vaterlandsliebe war Bestandteil des schulischen Lebens im deutschen Kaiserreich - die Teilnahme der Seminaristen am Krieg daraus folgende Konsequenz. Das Bemühen, den Gefallenen die Erfüllung der geforderten Opferwilligkeit zu attestieren und ihnen Heldentum zuzuschreiben, klingt in allen der Portraits an, ihre soldatische Pflichterfüllung wird besonders betont. Das Gedenkbuch war damit eindeutig auch als ein Medium amtlich-öffentlicher Propaganda in der Zeit nach dem Versailler Frieden, in dem Deutschland die alleinige Kriegsschuld hatte anerkennen müssen, und der Selbstdarstellung der Katholischen Lehrerschaft geschaffen worden.
Die fünf Gefallenen des ersten Notabiturjahrganges am Lehrerseminar Vechta v.l.n.r.: Albert Kettler, Clemens Evers, Gottfried Janßen, Joseph Bußmann, Joseph Hackmann (Die Abbildungen entstammen dem Gedenkbuch des Katholischen Lehrervereins für den Freistaat Oldenburg)
Bibliographische Informationen:
Unsern teuren Toten! Ein Kriegsgedenkbuch des Katholischen Lehrervereins für den Freistaat Oldenburg. Hrsg. vom Katholischen Lehrer-Verein, Vechta 1923: Standort HB-OM: B 132.
Die Stuttgarter "Bibliothek für Zeitgeschichte" - 1915 als "Weltkriegsbücherei" von dem Industriellen Richard Franck in Berlin gegründet, 1921 nach Stuttgart übergesiedelt und heute eine Zweigabteilung der Württembergischen Landesbibliothek - verfügt über eine der wichtigsten Themensammlungen in Deutschland zum Ersten Weltkrieg und hat ein digitales Themenportal eingerichtet. Im Rahmen dessen wurde auch das Gedenkbuch "Unsern teuren Toten!" digitalisiert und steht damit unter Beigabe einer Liste mit den Namen aller darin Portraitierten HIER online zur Verfügung.